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Von Bagdad bis Brandenburg: Wie MiCT Medienschaffende in Not unterstützt

Mehr Übergriffe, katastrophale Bedingungen: Die weltweite Lage der Pressefreiheit

Seit 2002 veröffentlicht die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen die “Rangliste der Pressefreiheit”. Auf Grundlage von Fragebögen wird hier die Pressefreiheit in fast allen Staaten der Welt bewertet. Zuletzt wurde am 3. Mai 2024 die Rangliste  für das Jahr 2023 veröffentlicht. Deutschland etwa wird darin auf den 10. Platz gerankt, im Vorjahr lag Deutschland noch auf Platz 21. Allerdings sei dies nur bedingt durch eine Verbesserung der Situation, wie etwa einer niedrigeren Zahl physischer Übergriffe (2023 waren es 41, im Vorjahr 103) zu erklären. Viel eher sei dies laut Reporter ohne Grenzen eine Begründung dafür, dass sich die Lage in anderen Ländern vergleichsweise verschlechtert habe.

Insgesamt musste Reporter ohne Grenzen feststellen: “Mehr Übergriffe im Umfeld von Wahlen und eine Rekordzahl von Ländern mit katastrophalen Bedingungen für Medienschaffende: Die Lage der Pressefreiheit hat sich im weltweiten Vergleich deutlich verschlechtert.” Und 36 Länder wurden sogar mit der schlechtesten Kategorie “Sehr ernste Lage” bewertet. Unabhängiger Journalismus? Nahezu unmöglich.

Damit Journalist:innen in den Ländern, in denen die Pressefreiheit deutlich eingeschränkt wird, trotzdem ihrer Arbeit nachgehen können, benötigen diese zum Teil besonderen Schutz. Drohen ihnen Verfolgung, Haft oder sogar die Todesstrafe, ist ein letzter Ausweg jedoch oft die Flucht in ein anderes Land. Menschen bei der journalistischen Arbeit vor Ort oder schlussendlich bei der Evakuierung zu unterstützen, ist beispielsweise die Kernaufgabe der gemeinnützigen Organisation Media in Connection and Transition (MiCT).

Aktive Arbeit vor Ort

Kurz nach dem Sturz Saddam Husseins und dem Fall des Baath-Regimes am 9. April 2003, ist Klaas Glenewinkel, Co-Gründer von MiCT, nach Bagdad, die Hauptstadt des Iraks, gereist. Dort traf er, laut eigener Aussage, “überall auf begeisterte Menschen aus allen Teilen des politischen Spektrums, die zum ersten Mal in ihrem Leben öffentlich ihre Meinung äußern durften.” Viele der Menschen, die er im Irak getroffen und gesprochen hat, hatten Pläne, eigene Sender, Zeitungen oder Websites zu gründen, um Nachrichten zu verbreiten. “Unter der Herrschaft Saddam Husseins gab es lediglich zwei Fernseh- und zwei Radiosender, doch nach seinem Sturz entstanden innerhalb kürzester Zeit hunderte neuer Medienunternehmen. „Dieser Wunsch nach einer offenen Debattenkultur war großartig – zum ersten Mal konnten auch Minderheiten an die Öffentlichkeit treten und gehört werden”, führt Glenewinkel dazu weiter aus.

Diese aufkeimende Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsverbreitung hatte jedoch auch eine Kehrseite, denn was fehlte, war eine fundierte journalistische Ausbildung. “Der Mangel an professionellen Medienschaffenden war daher eklatant und in diesem Vakuum verbreiteten sich Falschmeldungen und Verleumdungen rasend schnell”, erklärt Glenewinkel.

Im Jahr 2006 haben er und seine Kollegin Anja Wollenberg schließlich die gemeinnützige Organisation Media in Cooperation and Transition gegründet, um an diesem Zustand etwas zu ändern. “Seither haben wir über 600 Journalistinnen und Journalisten aus allen Regionen des Landes ausgebildet, einen landesweiten Ethik-Kodex etabliert und darüber hinaus an der Weiterentwicklung der Curricula der Journalismus Fakultäten an den irakischen Universitäten mitgewirkt”, zählt Glenewinkel die Erfolge der Arbeit von MiCT auf.

Heute ist MiCT nicht nur im Irak aktiv, sondern in mehr als 20 anderen Ländern, verteilt auf über drei Kontinente. Das Angebot erstreckt sich dabei von Trainings für Journalist:innen und Medienschaffende über die Unterstützung bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen bis hin zur Finanzierung von Produktionen von Beiträgen oder ganzen Sendungen.

Darüber hinaus betreibt die Organisation seit knapp drei Jahren das Schutzprogramm MiCT Fellowship for Critical Voices, welches Teil der Hannah-Arendt-Initiative ist, die wiederum vom Auswärtigen Amt und der Beauftragten der Bundesregierung für Medien und Kultur geführt wird. Die Unterstützung des Fellowship-Programms “umfasst finanzielle Hilfe, Sicherheitsmaßnahmen und psychologische Betreuung”, so Glenewinkel. Des Weiteren hilft MiCT auch bei der Evakuierung, “denn in einigen Fällen ist die Ausreise aus dem Heimatland unumgänglich, für andere stellt die Auswanderung nach Deutschland die einzige Chance dar, der Verfolgung ihrer Regierung zu entgehen.”

Exile Media Hub Brandenburg: Unterstützung für geflüchtete Medienschaffende

Für Journalist:innen und Medienschaffende, die nach Deutschland flüchten mussten, hat MiCT den Exile Media Hub Brandenburg ins Leben gerufen. Normalerweise unterstützt die Organisation Menschen vor Ort in ihren jeweiligen Heimatländern. Mit dem Hub soll nun auch Geflüchteten in Deutschland dabei geholfen werden, einen Neuanfang zu wagen.

So waren Glenewinkel und seine Kolleg:innen auf der Suche nach einem geeigneten Gebäude, das genügend Platz für die Menschen zum Leben und Arbeiten bieten sollte. Bald erfuhr der Bürgermeister von Wiesenburg, Marco Beckendorf (DIE LINKE), von dem Vorhaben. Sein Angebot: Ein leerstehendes Gebäude in Schmerwitz mit über 100 Zimmern.

Schmerwitz liegt im Landkreis Potsdam-Mittelmark in Brandenburg und ist Teil der Gemeinde von Wiesenburg. Eine Autofahrt von Potsdam bis Schmerwitz dauert etwa 55 Minuten, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln können es gut und gerne zwei Stunden Fahrzeit sein. Die schlechte Anbindung an den ÖPNV war zunächst ein Grund, der eigentlich gegen eine Ansiedlung des Hubs in der Ortschaft sprach.

Auch habe es noch vor einem Jahr Proteste gegen Geflüchtete in Schmerwitz gegeben – ebenfalls kein Argument, das für die Ansiedlung der Unterkunft in dem Ortsteil sprechen würde. Den Bedenken zum Trotz, wurde der Exile Media Hub Brandenburg offiziell im Juli 2024 in Schmerwitz eröffnet. Zusätzlich sind das Coconat, ein Coworking-Space aus dem Nachbardorf Klein Glien, sowie der Soziale Arbeit Mittelmark e.V.(SAM e.V.), welcher sich für eine soziale Regionalentwicklung einsetzt, als Kooperations- und Projektpartner mit dabei.

Für die Geflüchteten ist der Exile Media Hub Brandenburg sowohl Lebens- als auch Arbeitsraum. Ihnen stehen schnelles Internet, Studios für Podcast- und Videoproduktionen sowie Rückzugsräume zum konzentrierten Arbeiten zur Verfügung. Darüber hinaus bietet der Hub auch genügend Platz für Ausstellungen, Konferenzen und Kulturveranstaltungen.

So soll einerseits ein Gefühl des Miteinanders entstehen, aber auch eine Perspektive geschaffen werden. “Wir sind überzeugt, dass Geflüchtete – und nicht nur Medienschaffende – am effektivsten Fuß fassen, wenn sie gemeinsam unter einem Dach leben und sich gegenseitig unterstützen.“ Gerade in der Anfangsphase, wenn es darum geht, sich in einer neuen Umgebung zu orientieren, die deutsche Bürokratie zu durchschauen, neue Fähigkeiten zu erlernen und den schnellen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen, ist eine enge Gemeinschaft von Gleichgesinnten von unschätzbarem Wert”, fasst Glenewinkel das Prinzip hinter dem Hub zusammen. 

Neben personeller und materieller Unterstützung erhalten die Medienschaffenden auch Angebote zur Weiterbildung. So werden beispielsweise kostenlose Schulungen angeboten, die von großen Tech-Unternehmen wie Google oder Amazon durchgeführt werden. Dabei werden die Teilnehmenden unter anderem auch in der Anwendung von künstlicher Intelligenz und neuen Technologien fit gemacht.

Raum für Begegnungen

Das Besondere am Exile Media Hub Brandenburg ist außerdem: Um Raum für Austausch und Begegnung zu schaffen, steht der Hub auch für die Bewohner:innen von Schmerwitz offen. Es hat etwas von nachbarschaftlichem Miteinander. Oder wie Glenewinkel es auf den Punkt bringt: “Man hilft sich gegenseitig.” Und während die Dorfbewohner:innen zu Ausstellungen, Konzerten oder Vorträgen eingeladen werden, waren die Medienschaffenden beispielsweise bei der letzten Weihnachtsfeier mit dabei.

Als ganz spezielles Beispiel führt Glenewinkel die Fotografin Sareh Oveysis an. Ihre schwarz-weißen Fotografien von häufig queeren Motiven galten in ihrem Heimatland Iran als Tabubruch, weshalb sie schließlich fliehen musste. “Sie stellte ihre queere Aktfotografie in der Gemeinschaftsunterkunft aus und lud alle Dorfbewohner:innen zur Eröffnung ein. Diese waren wider Erwarten beeindruckt von ihrer Arbeit und baten Sareh, auch sie zu fotografieren”, so Glenewinkel. Im Februar sollen die dabei entstandenen Portraits sogar in Bad Belzig ausgestellt werden.

Pläne für die Zukunft

Für die Zukunft erhofft sich Glenewinkel, dass Asyl und Erwerbstätigkeit zusammen gedacht werden: “Wir möchten ein neues Modell für die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Medienschaffender entwickeln, das bei ihnen bereits während ihres Asylverfahrens die Möglichkeit eröffnet, beruflich Fuß zu fassen.” Dabei sei es jedoch wichtig, sowohl die Qualifikation der Personen, als auch ihre beruflichen Wünsche und Vorstellungen so früh wie möglich zu erfassen, um ihnen passende Weiterbildungsangebote machen zu können und sie sogar mit potenziellen Arbeitgeber:innen zusammenzubringen. Dabei meint Glenewinkel aber nicht nur Geflüchtete, die im Journalismus und in den Medien tätig sind. Dies sei auch in anderen Bereichen notwendig, beispielsweise in der Pflege oder im Handwerk.

Für den Exile Media Hub Brandenburg sei es nun erst einmal das Ziel, “bis zur Jahresmitte für den Großteil unserer Teilnehmenden eine konkrete berufliche Perspektive zu schaffen.” Sollte dieses Vorhaben erfolgreich sein und sich das Modell auszahlen, könnte sich Glenewinkel vorstellen, das Konzept auch in anderen Teilen von Deutschland umzusetzen. Und vielleicht könnte dieser Ansatz auch in andere Länder exportiert werden: “Dass unser Ansatz auf großes Interesse stößt, zeigte  sich im Dezember, als uns Gemeindevertreter:innen aus der Türkei besuchten, um gemeinsam zu prüfen, ob unser Modell auch in ihrer Region erfolgreich umgesetzt werden könnte.”

Fotocredit: ©MiCT / Klaas Glenewinkel

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