Wie das Start-up eGeia die Reha ins eigene Wohnzimmer bringt
Hat man einen medizinischen Notfall oder eine größere Operation gut überstanden, folgen in der Regel Reha-Maßnahmen. Aber: Reha-Behandlungen sind zeitaufwendig und daher für die Patient:innen nicht immer leicht in den Alltag zu integrieren. In strukturschwachen Gegenden sind die Anfahrtswege zur Therapie oft weit und gerade nach einer Hüft-OP oder einem Bruch sind Patient:innen in ihrer Mobilität eingeschränkt. Hinzu kommt ein Fachkräftemangel bei Physiotherapeut:innen: Wer dringend eine Krankengymnastik benötigt, hat meist zahlreiche Anrufe vor sich bevor sich ein Platz gefunden hat oder landet auf Wartelisten. Dass es in Zukunft auch anders gehen kann, zeigt das Potsdamer Start-up eGeia mit dem eHealth-Produkt MeineReha.
Das Start-up bringt das Rehazentrum inklusive Therapeut:in ins eigene Wohnzimmer. Dafür hat das Team der eGeia GmbH im Rahmen seiner Arbeit im Fraunhofer-Institut FOKUS eine Software entwickelt, die die Bewegungsdaten aufzeichnet und ein digitales Übungsprogramm anleitet. Eine mit dem TV-Gerät verbundene Sensor-Box, ermöglicht eine Spiegelung der Patient:innen, während sie die Bewegungen ausführen. Der intelligente Algorithmus ist dabei in der Lage, die Person im Raum zu erkennen und von der Umwelt zu abstrahieren. Der Sensor vermisst dreidimensional in Echtzeit die einzelnen Gliedmaßen, die Arme und Beinbewegungen und hat bei jeder Übung Abläufe und sogar Winkelmaße im Blick. Ist die Kniebeuge in der richtigen Position? Muss der Oberkörper mehr gebeugt werden? Dazu wertet das Programm die Daten aus und übermittelt auch den Therapiefortschritt der vergangenen Wochen an die Therapeut:innen. So können Patient:innen die Übungen jederzeit flexibel durchführen und sind dabei trotzdem nicht auf sich allein gestellt.
„MeineReha ist quasi der verlängerte Arm des/der Therapeut:in“, so Geschäftsführer Maciej Piwowarczyk vel Dabrowski. Denn ersetzt werden Therapeut:innen durch ihre digitalen Assistenten nicht – in vielen Fällen werde die Kommunikation sogar individueller und direkter. Hinzu kommt, dass anders als in einem vollen Trainingsraum nun niemand mehr in der hinteren Reihe übersehen wird. Im Gegenteil – durch die Auswertung und Aufzeichnung hat der/die Therapeut:in jeden Bewegungsablauf voll im Blick. Klappt eine Übung nicht ganz oder fühlt sich sehr schmerzhaft an, können Patient:innen Kontakt aufnehmen und nachfragen. Über das System landet die Anfrage bei den Therapeut:innen, auf deren Interface alle Daten zusammenlaufen. Sie können darüber nicht nur den aktuellen Stand des Therapie-Ablaufs einsehen, sondern auch das Patienten:innenblatt abrufen oder das Kommunikationstool nutzen. Über eine integrierte Videokonferenz können sich Therapeut:innen auch direkt zuschalten und die Übungen korrigieren. Dabei gilt für die Auswertungen: Die objektiven Messzahlen sind genauer als das Augenmaß. So ist es dank zusätzlicher Informationen sogar möglich, die Diagnose bzw. Therapie in manchen Fällen zu verbessern oder zu erweitern.
Täglich eine halbe Stunde Bewegung vor dem Fernseher: Für die Patient:innen ähnelt das Vorgehen fast einem Online-Fitnessprogramm. Aber bei MeineReha steht hier die medizinische Komponente im Vordergrund. „Unser System ist zusammen mit Therapeut:innen und Ärzt:innen entwickelt worden. Wir erfüllen die Sicherheitsbestimmungen und arbeiten derzeit an der Marktzulassung als Medizinprodukt. Der Qualitätsanspruch ist immens, denn das System darf keinen Fehler machen, beziehungsweise müssen etwaige Fehler feststellbar sein. Unser System muss mindestens genauso gut funktionieren wie der Mensch und das tut es.“, so Geschäftsführer Piwowarczyk vel Dabrowski. Perspektivisch sei auch denkbar, neben der Reha-Betreuung Physiotherapie, körperliche Präventionsarbeit, Nachsorge oder Vorsorge anzubieten.
Die Bedienung ist so konzipiert, dass auch ältere Menschen gut mit dem System umgehen können. Die Webcam ist integriert, der spezielle Sensor und die Software werden mitgeliefert. Mit einem Stromanschluss und einem TV-Gerät kann die digitale Reha starten. Da die Bewegungsabläufe im Vordergrund stehen, liefert die Kamera ausschließlich einen Videoausschnitt des Körpers der Patient:innen. Die Wohnzimmereinrichtung, die Sofafarbe oder die Tapete werden nicht gefilmt und somit wird die Privatsphäre gewahrt. Wichtig für den Datenschutz ist auch, dass die Patient:innen künftig selbst entscheiden können, ob sie das Video ihrer Übungen an die Therapeut:innen übermitteln möchten oder nur die Messdaten.
Gerade während der Corona-Pandemie ist der Bedarf an Teletherapie gestiegen. Gleichzeitig hat sich die Akzeptanz für digitale Angebote vergrößert. Webcams, digitale Meetings oder Konferenzen sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Und auch dank des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) der Bundesregierung ist es leichter geworden, digitale Gesundheitsanwendungen auf den Markt zu bringen und an die Vergütungsmodelle der Krankenkassen zu koppeln.
Das Produktportfolio von eGeia beinhaltet neben „eGeia-active“ auch Beratung im Rahmen von Medizinprodukte-Zulassung und Datenschutz. Sie unterstützen Kund:innen, die bestimmte Bereiche optimieren oder Prozesse digitalisieren möchten. Denn der deutsche Gesundheitsmarkt ist streng reglementiert und von komplexen Anforderungen durchzogen. Technologie und Prozesse werden genau geprüft. Am Unternehmensstandort im Potsdam Science Park profitiert man darüber hinaus stark vom Austausch und den Kooperationen zwischen Wissenschaft und Unternehmen. Die dortige Health-Tech-Szene treibt die Digitalisierung des Gesundheitssystems voran, nicht zuletzt, um Versorgungsengpässe in Zukunft zu reduzieren und die allgemeine medizinische Versorgung zu verbessern.
Von Christine Lentz
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