„Anywhere the wind blows…“
… singt Freddy Mercury zum Finale von Bohemian Rhapsody – und mit dieser Liedzeile als Motto meldete sich die Digitalkonferenz re:publica nach zweijähriger Pandemiepause vor Ort zurück. Auf 25.000 Besuchende, 400 Sessions und 700 Sprecher:innen brachte es die viertägige Veranstaltung Anfang Juni.
Während der leichte Sommerwind also über das Außengelände von der Arena Berlin wehte, fanden in der abgedunkelten Halle die Diskussionen statt, die sich ganz im Sinne der Ausrichtung der re:publica nicht nur um die reine Digital- und Medientechnik drehten, sondern den Bogen zu gesellschaftspolitischen Themen rund um Nachhaltigkeit, Klimawandel und sozialem Wandel spannten.
Darunter viele Vertreter:innen des MediaTech Hub Potsdam: Unter dem Titel „Gesellschaft in der Dauerkrise“ gab Klimaökonom Ottmar Edenhofer vom Potsdamer Institut für Klimaforschung den Sparringspartner von Publizistin Carolin Emcke, um neben den Fakten nun die Handlungsmöglichkeiten zwischen Krieg, Klimakrise und Herausforderungen unserer Zeit zu zeigen. Stefan Scheller, einer der führenden HR-Influencer, Blogger und Podcast-Host zu New Work, New Management und Recruiting teilte seine Erfahrungen zu Vor- und Nachteilen von Home Office und Remote Work.
Die neuen Arbeitsmöglichkeiten können auch das Leben auf dem Land für digitale Talente wieder attraktiver machen und für neue Wirtschaftskraft außerhalb der städtischen Ballungsgebiete sorgen. Einen Ansatz, den die Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB) unterstützt. Vertreten durch Till Meyer und Steffen Kammradt erläuterten sie, wie sich das Land Brandenburg rund um alte Gutshäuser, Bahnhöfe und Fabrikgelände zu einem Smart Country wandelt. Medienspezifischer wurde es bei Marcus Pfeil und Michael Anthony von Vertical 52 . Mit ihrem Startup bringen sie Daten aus dem All in kurzen Geschichten zurück auf die Erde: Wo sind in Deutschland einsturzgefährdete Brücken zu entdecken? In welchen Minen in Indien wird illegal abgebaut? Wieviel Fläche brennt gerade im Amazonas? Ihre Plattform zur Auswertung von Satelliten- und Radardaten unterstützt NGOs und Journalist:innen in ihrer Arbeit.
Anna Franziska Michel vom MediaTech Hub Accelerator Startup yoona.ai sprach in dem Vortrag „The Metaverse SaaS Solution“ über die Vorreiterrolle, die die digitale Fashionindustrie im Bereich nachhaltigen Lebensstils innehaben kann. Als CEO von yoona.ai treibt sie die KI-basierte Designentwicklung voran. Laura Hirvi, Geschäftsführerin der Virtual Reality Association Berlin Brandenburg (VRBB) trat als Host für das „Women in XR and Allies Panel“ auf, das die führenden Frauen aus der XR Branche untereinander zusammenbrachte und Trends und Entwicklungen diskutierte. Wie wichtig die Aspekte eines einheitlichen europäischen Regelwerks für große digitale Plattformen sein können, beleuchtete Dr. Eva Flecken, Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) als Gesprächspartnerin des Panels „Digital Art Services – Kommt jetzt das Plattformgrundgesetz?“.
Wie verändert Virtual Production den Medienstandort Berlin/Brandenburg?
Eine wichtige fachliche Diskussion im Programmschwerpunkt Medien, das von Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert und mabb unterstützt wurde, beleuchtete mit Fragen wie „Wo drehen wir in 10 Jahren?“, „Was macht das mit dem Standort Potsdam-Babelsberg?“ und „Wird zukünftig nur noch virtuell gedreht?“ die Umwälzungen, die neue Technik in der Filmbranche mit sich bringt.
Virtual Production ist zu einem zentralen Thema für die Filmschaffenden geworden. Kinematografische LED-Bildschirmwände, wie die Potsdamer Halostage auch neben der Stage 1 zeigt, werden bald nicht mehr aus der Kinowelt wegzudenken sein. Schon während der Produktion verschmelzen analoge und digitale Welt, was nicht nur die Abläufe verändert, sondern auch die Art, wie wir Geschichten erzählen können. Schauspielende interagieren ebenso wie Kamera oder Beleuchtung nun direkt vor digitalen Kulissen statt monofarbigem Greenscreen. Bei einem Gespräch mit dem Titel „Die Zukunft des Films – Wie verändert Virtual Production den Medienstandort Berlin/Brandenburg?“ brachten Kreativwirtschaftsberaterin Franziska Koch, Erik Wolff, (CEO der Halostage), Wolf Bosse (Co Founder der Reactionlink SE Technologies GmbH) und VFK Producerin Scherin Rajakumaran ihre unterschiedlichen Erfahrungen ein.
Dabei sei die Technologie keine Neue, so Scherin Rajakumaran. Von bemalten Leinwänden bis hin zu Green Screen habe das Kino es immer wieder geschafft, im Studio ganze Welten zu erschaffen, ohne dafür mit dem Team an einen bestimmten Drehort reisen zu müssen. Neu sei, dass sich die bisher bekannten Produktionsabläufe ändern. Das schlägt sich auf Budgets und auch Arbeitsprozesse nieder. Produktionsbedingte Verzögerungen, wie sie zum Beispiel bei Rendering entstehen, entfallen. Typischerweise nachgelagerte Prozesse werden im Produktionszeitraum nach vorne verlagert, das bestätigt auch Wolf Bosse. Insgesamt ändere sich dadurch die Dynamik des Filmemachens bis hin zu Drehbuchfassungen. Autor:innen könnten in ihrer Erzählung die neuen technischen Möglichkeiten einplanen. Handlungen lassen sich nun besser während des Drehs umschreiben, da Produktionsorte nicht aufwendig versetzt werden müssen.
Was erhalten bleibe, seien unterhaltende Geschichten, ergänzt Wolff. Die weitere Diskussion sei eine fachliche. Kommt an einer Stelle ein VFX-Shot in Frage oder ist 3D Content besser geeignet? Solche Gespräche müssen früh geführt werden und die Diskussionen drehen sich immer um Produktionskosten und Kreativaspekt.
Mehr Pixel, mehr Frames, größere Bitraten in der Postproduktion
In zehn Jahren werde sich also nicht die grundlegende Art des Filmemachens verändert haben, aber es kommen neue technische Möglichkeiten hinzu. Aufwendige Technologien, die vorher zu langsam waren, werden nun einfacher einzusetzen sein. Es schleiche sich mehr künstliche Intelligenz in die Prozesse ein, so Bosse. Hinzu komme eine bessere Darstellungsqualität, was sich auch in fotorealistischer Darstellung von Mimik und Gestik der Schauspielenden niederschlägt. Diese werden in Zukunft nicht ersetzet, aber die Komparserie kann einfacher digital ergänzt werden. Die Mischformen aus realer Aufnahme ergänzt durch digitale Hilfsmittel nehme zu, so die Hypothese.
Eventtechnologie, Games Industrie und Filmbranche profitieren voneinander
An Entwicklungen ist nicht nur die Filmindustrie beteiligt. Eine großflächige LED-Leinwand wie die Halostage mit hochprofessionellen LEDs auf insgesamt 1000 Quadratmetern Fläche wurde ursprünglich für Eventtechnologie und Messen entwickelt. Hinzu kommen Entwicklungen aus der Gaming Industrie, die mit Tracking Brillen über Game Engine das Bild umsetzen könne. Das Experimentierfeld, auf dem verschiedene Medientechniken zusammentreffen, werde weiterwachsen, so Bosse. Hier sei die Filmindustrie nicht der einzige Motor.
Neben der Zeitersparnis fallen in Zukunft auch geringere Kosten an. So reduzieren sich zum Beispiel aufwendige Straßensperrungen für Drehs und die dazugehörigen Drehgenehmigungen. Als Beispiel nennt Wolff einen Dreh im Berliner Tiergartentunnel. Hier wurde der Tunnel vorab gut ausgeleuchtet abgefilmt, und für die restlichen Szenen dann im Studio eingeblendet. Auch klassische „Carshots“, wie man sie häufig im Tatort sieht, sind dadurch weniger aufwendig. Das macht die Drehs sicherer, teils effizienter, Umgebungen wie ungewollte Reflektionen auf Autos oder Wetterunsicherheiten lassen sich besser kontrollieren.
Sie alle seien keine Gegner:innen des Realdrehs, so Bosse. „Wir ergänzen die Schönheit des Realdrehs um eine technische Sicherheit“. Das alles müsse allerdings im Vorfeld gut geplant werden. Nicht nur auf die direkte Produktion hat Virtual Production einen Einfluss, auch die beruflichen Einsatzbereiche der Branche und die Ausbildungsberufe ändern sich. Zukünftig wird es zum Beispiel mehr Gestalter:innen von immersivem Content geben.
Die mobile Version des LED-Studios Halostage präsentierten die Potsdamer die ganze re:publica hinweg direkt neben der Hauptbühne. Besuchende konnten sich hier selbst vor digitaler Kulisse probeweise inszenieren lassen.
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