WIE “RICHTIG” GENDERN?
In der deutschen Sprache gibt es diverse Begriffe und Redewendungen, die nicht genderneutral oder inklusiv sind. Das können Wörter sein, die wir – teilweise sogar mehr oder minder unbewusst – in unseren täglichen Sprachgebrauch mit einfließen lassen, wie etwa “man” oder “jemand”. Aber auch Anreden in E-Mails gehören dazu, wie etwa der Klassiker “Sehr geehrte Damen und Herren”.
Ein Grund hierfür ist, dass es in der deutschen Sprache Zuschreibungen für das männliche und das weibliche Geschlecht gibt. Darüber hinaus ist unsere Sprache männlich geprägt, was durch die Verwendung des generischen Maskulinums deutlich wird, welches lange Zeit Standard war und auch heute in bestimmten Bereichen noch vorwiegend gebraucht wird.
Das führt oft dazu, dass Menschen, die sich nicht in diesem binären Geschlechtersystem wiederfinden, aber auch Frauen mehrfach sprachlich ausgeschlossen werden. Um auch diese Personen nicht nur “mit zu meinen”, sondern tatsächlich auch mit anzusprechen, gibt es mehrere Möglichkeiten: etwa durch genderneutrale Sprache, bei der Formulierungen verwendet werden, die keine geschlechtsspezifische Zuweisung beinhalten (beispielsweise “Studierende”, “Arbeitnehmende” oder “Forschende”), oder aber durch die Verwendung von Sonderzeichen, wie einen Unterstrich (“Student_innen”), das sogenannte “Gendersternchen” (“Arbeitnehmer*innen”) oder einen Doppelpunkt (“Wissenschaftler:innen”). Hier werden die männliche und die weibliche Variante zusammengeführt, wobei das Sonderzeichen all jene optisch abbilden soll, die sich inner- oder außerhalb des binären Geschlechterssystems wiederfinden.
Inklusive Sprache ist nicht nur zum Teil emotional sowie politisch aufgeladen, sondern zugleich auch eine sensible Angelegenheit. So sehen sich vor allen Dingen für Personen, die viel mit Texten und Schriftstücken arbeiten und sich damit auseinandersetzen, schnell mit der Frage konfrontiert: “Wie gendere ich eigentlich richtig?”
UNTERSTÜTZUNG BEI INKLUSIVER SPRACHE MIT ALL.TXT
Aber nicht nur für Autor:innen, Journalist:innen, Wissenschaftler:innen oder allgemein Menschen, die sehr viel mit Texten arbeiten, ist die Frage nach Inklusion in der Sprache relevant. Auch für Unternehmen spielt dies eine Rolle, etwa bei der Außenwirkung, der Akquise von Fachkräften oder dem Erhalt von Personal.
Je nachdem, wie groß das Unternehmen ist oder welcher Stellenwert inklusive Sprache dort zugewiesen wird, werden teilweise Richtlinien erarbeitet. Wobei auch längst nicht überall. Und selbst wenn es Leitfäden gibt, können Unklarheiten immer noch existieren.
Hier setzt das Berliner Start-up VQ Equitable AI Solutions an. Mit Tool all.txt will es Unternehmen, Organisationen und Freiberufler:innen ein Hilfsmittel an die Hand geben, um leichter gendergerechte Texte formulieren zu können.
WAS IST ALL.TXT – UND WIE KANN DAS TOOL UNTERSTÜTZEN?
Der Prototyp von all.txt ist eine Textbox, die via Webbrowser frei zugänglich ist. Die Benutzeroberfläche ähnelt dabei anderen Übersetzungstools wie etwa deepl.com. Auf der linken Seite befindet sich ein Textfeld, in das Texte mit bis zu 1.200 Zeichen eingegeben werden können. Im Textfeld auf der rechten Seite wird die überprüfte Variante mit jeweiligen Vorschlägen ausgegeben.
Zur Überprüfung des eigenen Textes besteht die Möglichkeit, zwischen mehreren Modi auszuwählen: Soll beispielsweise mit Sonderzeichen gegendert werden oder soll der Text geschlechtsneutral formuliert werden? Die betreffenden Wörter werden dann in der überprüften Variante grün hinterlegt und mit den jeweiligen Änderungsvorschlägen versehen.
Im Interview hebt Mpho Matelemuse, Gründer:in von VQ Equitable AI Solutions, noch einmal hervor, dass es sich bei der Textbox um einen Prototyp handelt. Hier werde noch weiter dran gearbeitet, um die Funktionalität des Tools zu verbessern.
Neben der Textbox gibt es zudem ein Plug-in, welches als “Inklusions Ko-Pilot” fungiert, wie es auf der Website heißt. Dieses Plug-in kann einfach in den entsprechenden Texteditor integriert werden und funktioniert anschließend wie eine übliche Autokorrektur – nur eben für inklusive Sprache.
Dieser “Inklusions Ko-Pilot” wurde mittlerweile auch schon getestet, wie Mpho erklärt, unter anderem in Zusammenarbeit mit der feministischen Zeitschrift “Missy Magazine”. Dennoch werde auch das Plug-in kontinuierlich weiterentwickelt. So arbeite das Team etwa an einer KI, mit deren Hilfe die Spracherkennung verbessert werden soll, um passendere Vorschläge generieren zu können.
Verfügbar ist das Plug-in für den Google Workspace, aber auch für Anwendungen von Microsoft Office. Es kann zwar kostenfrei getestet werden, nach einem Zeitraum von 14 Tagen ist das Plug-in, im Gegensatz zur Textbox, allerdings kostenpflichtig.
WARUM ALL.TXT?
Begonnen mit der Arbeit an der Idee zu all.txt hat Mpho, als dey noch im Bereich Data Engineering tätig war – hier lag Mphos Schwerpunkt auf Business Intelligence und der Frage, wie Unternehmen bessere Entscheidungen treffen können.
Ein Grund, mit der Arbeit an all.txt zu beginnen, war unter anderem, dass Mpho selbst eine nicht-binäre Person ist. Für die Entwicklung des Tools spielte somit die Aufklärung darüber eine Rolle, “was für Vorurteile teilweise in bestimmten Wörtern mit verankert sind” – Vorurteile, die eben speziell Personen betreffen können, die, wie auch Mpho, eben non-binär sind.
Darüber bestehe laut Mpho bei klassischen Text-Editoren ein Problem darin: Die dort integrierte Autokorrektur markiert Begriffe häufig als falsch, obwohl sie im Prinzip richtig sind – die Ursache liege laut Mpho darin begründet, “dass viele Algorithmen für die Textkorrektur sich einfach nicht der nicht-binären Sprache bewusst sind”. So stand für Mpho also die Frage im Raum: “Wie wäre es denn, dieses Regelwerk der inklusiven Sprache umzusetzen und zu automatisieren? Zum einen, um die Arbeitsprozesse zu vereinfachen und dadurch Zeit zu sparen, und zum anderen, um gleichzeitig dazu zu lernen und sich sicherer zu fühlen.“
Somit ist all.txt einerseits ein Tool, um Personen die Arbeit mit Texten und Schriftstücken zu erleichtern. Andererseits dient es aber auch dazu, ein generelles Bewusstsein für die Thematik inklusive Sprache zu schaffen.
BISHERIGER WEG UND AUSBLICK
Mpho hat VQ Equitable AI Solutions mit zwei weiteren Personen gemeinsam gegründet, führt das Geschäft des Start-ups aktuell jedoch allein fort.
Seit Oktober 2024 ist das Team mit all.txt Teil der zweiten Kohorte beim Investment Readiness Program des MediaTech Hub Accelerators. Das Programm ist zwar darauf ausgerichtet, die Start-ups “Investors ready” zu machen und zwar speziell für Venture Capital (VC), allerdings wurde gerade dadurch deutlich, dass dies für all.txt nicht der passende Weg ist. “Besonders am Anfang, wenn man zum ersten Mal gründet, gibt es so viele verschiedene Möglichkeiten. Und da muss man manchmal eben auch einfach Dinge auskreuzen können, um mit gutem Gewissen zu sagen, ‘wir fokussieren uns jetzt darauf’”, erklärt Mpho die Entscheidung. Stattdessen sei ein geeigneter Weg für die Finanzierung, mit Business Angels ins Gespräch zu kommen. Um dies zu erkennen, sei die Teilnahme am Investment Readiness Program sehr hilfreich gewesen, wie Mpho im Gespräch betont.
Ebenfalls hilfreich waren die persönlichen Sessions mit Erdinç Koç, dem Head of MTH Accelerator, aber auch der Austausch mit den Investor:innen und Expert:innen. “Hier haben sie sich auch nochmal die Pitch-Decks angeguckt und das war hilfreich zu sehen, wo denn überhaupt deren Aufmerksamkeit liegt.” Aber auch das Netzwerk des MTH Accelerators und der Kontakt mit den anderen Start-ups sei eine Bereicherung gewesen.
Das Ziel für dieses Jahr sei es laut Mpho, “auf jeden Fall die Versionen zu launchen, die wir uns vorstellen und auf die wir hinarbeiten”. Um das zu erreichen, steht jedoch noch ein weiterer wichtiger Punkt auf der Checkliste: Fundraising. “Nicht, um eine Million Euro zu bekommen, das ist nicht unser Ziel. Sondern um genügend Geld zu sammeln, um unser Team und die Arbeit an all.txt bezahlen zu können.” Es gäbe laut Mpho in jedem Falle genügend Interessenten, darunter diverse Organisationen, die das Produkt gerne ausprobieren wollen.

Urheber: VQ UG für All.txt