Zeitaufwand, Ressourcenverwaltung und das richtige Tool
Ob Film, Serie oder TV-Show – eine durchdachte Planung der Postproduktion ist unerlässlich. Produktionsfirmen stehen dabei vor komplexen Fragen: Welche Kapazitäten und Ressourcen sind erforderlich? Wer arbeitet wann und wo? Sind Schnittplätze verfügbar, und wie sieht es mit den benötigten Lizenzen aus? Diese Planung ist zeitaufwendig und hat oft finanzielle Auswirkungen, wie Leonardo Re, Co-Founder und Geschäftsführer von freispace, aus eigener Erfahrung weiß.
Leonardo hat selbst über mehrere Jahre hinweg als Herstellungsleiter gearbeitet, vorwiegend im Bereich Dokumentation. Zu den Projekten, an denen er beteiligt war, zählen etwa die Dokuserie Dig Deeper: Das Verschwinden von Birgit Meier, welche 2021 als Netflix-Original erschienen ist, sowie die für den Sender Arte produzierte vierteilige Dokumentation Afghanistan. Das verwundete Land, welche 2021 bei der Verleihung des 57. Grimme-Preises mit dem Publikumspreis der Maler Gruppe ausgezeichnet wurde. Neben der Organisation von Produktionsteams und den Vertragsverhandlungen mit den Sendeanstalten war Leonardo außerdem für die Koordination der internen Postproduktion verantwortlich.
Um die einzelnen Arbeitsprozesse gut planen zu können, haben er und sein Team nach einer geeigneten Software gesucht, seien jedoch nicht fündig geworden. Ein Problem sei beispielsweise die fehlende Praktikabilität gewesen: “Wir haben alle möglichen Programme ausprobiert, doch nichts hat wirklich für uns funktioniert. Unter anderem, weil wir die Komplikation hatten, dass wir immer Personen und Räume gleichzeitig buchen mussten. Aber klassische Projektplanungstools verwalten nur Personen, also haben wir angefangen, Personen als Räume anzulegen. Aber dadurch fehlte dann die Übersichtlichkeit”, so Leonardo.
Daraufhin habe man Tabellen in Excel gebaut und auf einem Server verwaltet. Hier war zwar der Vorteil, dass diese Tabellen eine bessere Übersicht geboten hätten, allerdings seien Exceltabellen umständlicher in der Bedienung und der Verwaltungsaufwand sei höher. “Das Problem war, dass man keinen Prozess mehr hat. Was passiert bei Verschiebungen? Was passiert, wenn die Person, die die Tabelle verwaltet, mal nicht da ist? Wer hat das Recht, hier etwas einzutragen oder zu verschieben?”, führt Leonardo aus. Am Ende habe man Stunden am Telefon verbracht, um die Planung zu besprechen, wodurch sich ein enormer Zeitverlust eingestellt hat.
Vom ersten Prototypen zum Start-up
Diese Erfahrung war für Leonardo die Initialzündung, um etwas zu ändern. “Ich dachte mir: ‘Okay, das kann man eigentlich ändern, so schwer kann es ja nicht sein.’ Daraufhin habe ich angefangen, einen Prototypen zu bauen”, beschreibt Leonardo die ersten Schritte. Zugleich war das die Grundsteinlegung für die Gründung seines Start-ups freispace.
Für die Weiterentwicklung des Prototypen suchte er gezielt nach einem Co-Founder mit technischem Know-how. Mit potenziellen Kandidat:innen vereinbarte er eine Testphase, um mit ihnen gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten. Dabei lernte er Alexander Hirschfeld kennen. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden funktionierte so gut, dass Alexander “so schleichend zum Mitgründer wurde”, wie Leonardo erzählt.
Als es zu Überlegungen kam, was es bedeutet, Co-Founder zu sein und wie sie ihr Unternehmen gestalten wollen, merkten sie schnell, dass sie ähnliche Vorstellungen haben, angefangen beim Arbeitszeitmodell über Diversität bis hin zu Nachhaltigkeit. Inzwischen ist Alexander CTO bei freispace.
Intuitiv, flexibel und eine stetige Weiterentwicklung
Im Juni 2022 wurde freispace gegründet und bereits im Juli fand der Launch der Software statt. Im gleichen Monat nahm das Team zudem am Programm des MediaTech Hub Accelerators teil, um die Idee weiter voranzutreiben.
Im Kern ist freispace eine Software zur intuitiven Verwaltung von Ressourcen und Projekten, speziell für die Postproduktion. Ziel sei es, redundante Kommunikation zu reduzieren und allen Beteiligten jederzeit einen umfassenden Überblick zu bieten. Die Lösung von freispace ermöglicht eine zentrale, simultane Projektplanung inklusive einer detaillierten Auswertung.
Darüber hinaus arbeitet das Team stets an der Weiterentwicklung seiner Software. Dabei sei es jedoch nicht immer leicht, die Balance zu halten zwischen der Erfüllung von Wünschen von bestehenden Kund:innen und der Erweiterung des Angebots, um auch für potenziell künftige Kund:innen attraktiv zu werden. Sprich: Einerseits die Detailarbeit zur Optimierung bestehender Workflows und andererseits muss das große Ganze im Blick behalten werden.
Von Ressourcenverwaltung auf dem Weg zur All-in-One-Lösung
Zu Beginn zielte freispace auf die Erfüllung der Bedürfnisse kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMUs) ab. Um herauszufinden, ob er mit seiner Idee überhaupt auf einen Markt stößt, führte Leonardo im Vorfeld mehrere Umfragen durch. Hierfür griff er auf bestehende Kontakte aus der Branche zurück, die überwiegend aus KMUs bestanden. Zwar fand er dabei heraus, dass KMUs durchaus den Need haben, Prozesse in der Postproduktion zu optimieren, allerdings wurde bald nach der Gründung klar, dass diese Lösung vor allen Dingen für große Produktionsfirmen relevant sei. Leonardo erzählt dazu: “Meine Annahme war damals, dass die mittelständischen Produktionsfirmen mit 20 oder 50 Mitarbeitenden die Lösung brauchen würden. Das haben wir so von Anfang an verfolgt. Aber was total spannend war und, wenn man darüber nachdenkt, auch total logisch ist, ist, dass unsere ideale Zielgruppe die ganz großen Produktionsfirmen sind, also die mit über 200 oder 500 Beschäftigten, weil sich dort das Problem maximiert.”
Bei großen Produktionsfirmen sei der Aufwand für Verwaltung und Planung größer, weshalb eine intuitive, zeitsparende Anwendung speziell für größere Studios relevant ist. Für KMUs wiederum sei eher eine All-in-One-Lösung attraktiv, worauf das Team hinarbeite.
Somit gehen die Anwendungsmöglichkeiten des Tools über die reine Ressourcenverwaltung und Projektplanung hinaus. Beispielsweise ist es möglich, die Ressourcenplanung für ein Projekt mit Hilfe des Tools auszuwerten und in Kombination mit der integrierten Zeiterfassung Rechnungen zu schreiben oder Angebote für künftige Aufträge zu stellen.
Das Produkt habe sich so in der Zwischenzeit immer mehr hin zu einem ERP-System entwickelt. Hier würden große Produktionsfirmen zwar zum Teil auf andere Systeme, wie zum Beispiel SAP, zurückgreifen. Jedoch würde die Software von freispace Schnittstellen bieten, die es ermöglichen, Daten an solche ERP-Systeme zu übertragen. Und für KMUs ist ein solches Komplettpaket ebenfalls interessant.
Postproduktion und Nachhaltigkeit
Als aktuellste Funktion wurde ein CO²-Tracking integriert. Damit wolle man Produktionsteams die Möglichkeit bieten, einen Überblick über die entstandenen Emissionen zu erhalten und sie dadurch für das Thema zu sensibilisieren. Denn Verzögerungen in der Planung und die dadurch entstandene Mehrarbeit sind nicht nur ein Kostenfaktor, “sondern es wirkt sich natürlich auch auf die Ressourcen aus”, so Leonardo.
Auch geht Leonardo davon aus, dass es für Unternehmen zukünftig verpflichtend sein wird, CO²-Reportings zu erstellen – Produktionen wolle man so mit einem integrierten Tracking ein Hilfsmittel geben. Hierbei habe das Team jedoch nicht den Anspruch, eine vollständige CO²-Bilanz abzubilden. Viel eher lautet das Prinzip, für Transparenz zu sorgen und Awareness zu schaffen.
Zukunftspläne und Internationalisierung
Bisher lag der Fokus von freispace auf dem deutschsprachigen Raum; hier wird das Tool von diversen Produktionsunternehmen eingesetzt, darunter auch große Namen, wie Constantin Entertainment, EndemolShine Germany oder ITV Studios Germany. Inzwischen ist freispace in Deutschland sogar Marktführer. Künftig wolle man aber auch den englischsprachigen Raum in Europa erschließen.
Um das Produkt weiter zu verbessern, forscht das Team derzeit am Einsatz von Machine Learning. Zwar würde man nicht darauf setzen, Künstliche Intelligenz zum Kern des Angebots zu machen, allerdings besteht das Potenzial, dass durch die Implementierung von Machine Learning diverse Prozesse noch weiter optimiert werden könnten.
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