Städte stehen zukünftig vor der Herausforderung, ihre Wasserversorgung zu optimieren und digital zu steuern. Das Potsdamer Unternehmen Vragments entwickelt dafür Apps und Augmented Reality-Anwendungen, die uns auf einer virtuellen Tour bis zum Grundwasser führen.
Wasser ist der häufigste Naturstoff der Erdoberfläche. Das Salzwasser der Weltmeere macht 97,5 Prozent aus, die restlichen Prozent verbleiben für Bodenfeuchte, Grundwasser, Seen und Flüsse, Atmosphäre und Lebewesen. Allerdings: Wasser verschwindet nicht, sondern ist seit Urzeiten in allen möglichen Kreisläufen unterwegs. Um unsere Wasserversorgung zu gewährleisten, muss dieser Kreislauf gut organisiert sein, besonders in urbanen Zentren. Dabei bleibt uns die Wasserinfrastruktur der Städte normalerweise fast vollständig verborgen. Der Großteil davon findet für uns völlig unsichtbar viele Meter unter der Erdoberfläche statt. Wir öffnen den Wasserhahn und haben Trinkwasser.
Aber wie ist die urbane Wasserversorgung der Städte aufgestellt? Vor dem Hintergrund von Klimawandel und Bevölkerungsentwicklung stehen die Zentren vor einer Herausforderung: Es braucht neue digitale Lösungen, um in den Städten ein intelligentes Wassermanagementsystem der Zukunft zu installieren.
Das EU-Projekt digital-water.city (DWC, Grant Agreement No. 820954) forscht dazueuropaweit am Beispiel der fünf Großstädte Paris, Sofia, Kopenhagen, Mailand und Berlin. Koordinator und gleichzeitig Initiator des Projekts ist das Kompetenzzentrum Wasser Berlin (KWB).
Die Aufgaben und Lösungsansätze für digital-water.city sind in jeder Stadt unterschiedlich. Generell versorgen die Wasserbetriebe die Haushalte mit Trinkwasser, kontrollieren die Wasserqualität und die Kanalanlagen, säubern und warten und betreiben Abwasserkanäle, Abwasserbehandlung und dessen Wiederverwendung. Sie handeln, wenn die Kanäle überlastet sind oder es zu Überflutungen kommt und verwalten unsere Kläranlagen.
Innerhalb des Berliner Projekts wird daran gearbeitet, die Wartung der Trinkwasserbrunnen zu optimieren und Mischwasserüberlaufe des berlinspezifischen Kanalsystems zu verringern – mithilfe von Visualisierungstechniken wie Augmented und Mixed Reality.
Und hier kommt das Startup Vragments aus dem MediaTech Hub ins Spiel. Das Unternehmen aus Potsdam-Babelsberg besteht aus einem Team von Journalisten, Entwicklern und Storytellern, die Augmented- und Virtual Reality-Erlebnisse inszenieren. Für digital-water.cities arbeiten sie an gleich zwei Apps, die zum einen für die breite Bevölkerung und zum anderen für die Berliner Wasserbetriebe und städtische Entscheider aufgesetzt sind.
Das Besondere in Berlin ist, dass das Wasser hauptsächlich aus Bereichen in der Stadt gewonnen wird und einen erhöhten Schutzbedarf hat. Die App für die Bevölkerung kommuniziert, wie der Kreislauf des Trinkwassers funktioniert. Was passiert bei Starkregen in der Berliner Kanalisation? Wie wirkt die Uferfiltration zum Beispiel am Wannsee? Welche Prozesse durchläuft das Wasser, bevor auf die Trinkwasserbrunnen trifft? Dank der Visualisierung von Untergrundsimulationen in der App schauen die Nutzer tief unter die Erde der Millionenstadt und verfolgen die Wege der Wasseraufbereitung. So sollen die Bürger für den Wert von Trinkwasser sensibilisiert werden.
Die zweite App, an der Vragments aktuell arbeitet, dient speziell der professionellen Anwendung und wird die Wartungsaufgaben der Wasserbetriebe unterstützen.
Momentan werden Trinkwasserbrunnen in statistisch ermittelten Abständen überprüft und gewartet, unabhängig davon ob es einen tatsächlichen Bedarf gibt. Aufträge und Dokumentation sind in der Regel papierbasierte Prozesse, bei denen die Brunnenmeister vor Ort die aktualisierten Werte oder Wartungsereignisse, wie einen Gerätewechsel, notieren und diese später im Werk in Informationssystemen erfassen. „Wir wollen mit unserer App weg von der kalender- oder zeitbasierten Wartungsplanung hin zu einer bedarfsorientierten Wartungsplanung“, so Stephan Gensch, der Mitgründer und Head of Product Development bei Vragments ist. Das funktioniert, wenn Daten schnell und effektiv an einem zentralen Ort zusammengetragen und aufbereitet werden: „Mit der App stehen die Daten schneller zur Verfügung und können sofort, bei Bestehen einer Internetverbindung, ohne manuelle Eingabe synchronisiert werden.“ In Berlin, wo es ca. 650 aktive Brunnen gibt, lässt sich dadurch sehr viel Organisationsaufwand bei der Wartung einsparen. Dafür müssen vorab Daten und Geschäftsprozesse der verschiedenen Gewerke und Hauptwasserwerke zusammengetragen und für den praxisorientierten Einsatz in der App aufbereitet werden.
Für die technische Umsetzung des Geo-Projekts arbeitet Vragments direkt mit den Berliner Wasserbetrieben und dem Kompetenzzentrum Wasser Berlin zusammen. „Unser Team bringt Erfahrung aus unterschiedlichen Bereichen mit, vom Bankensektor über die Gamingbranche bis hin zur Geoinformatik, außerdem die technische Expertise was Datenmanagement und die Entwicklung performanter Backend- und mobiler Frontendsysteme angeht“, so Gensch. Vragments setzt in der Entwicklung auf agiles Arbeiten und optimiert die Entwürfe nach regelmäßigen Feedbackrunden mit den Interessensgruppen.
Die größte Herausforderung ist neben der wissenschaftlichen Simulierung dabei Darstellung. Besonders Wasser visuell glaubhaft darzustellen sei anspruchsvoll. „Normalerweise hat man eher so dreidimensionale Rasterkarten mit irgendwelchen Skalar-Werten. Das ist nicht verständlich für Laien. Wir setzen auf ein visuelles Erlebnis.“ Dafür hat Vragments zwei Szenarien. Zum einen kann der Nutzer ein digitales Tischmodell des Ober- und Untergrundes mit seinem Netz aus Rohren, Pumpen, Kanälen rundum begutachten, zum anderen wird es möglich sein, die Umgebung und das darunterliegende System quasi 1:1 zu erleben – dank der VR-App soll der Nutzer mit Röntgenblick unter die Erde schauen. Mithilfe des Smartphones und Augmented Reality öffnet sich der Berliner Untergrund durch die verschiedenen Schichten aus Sand, Erde und Gestein bis auf das Grundwasser für jeden. Die komplexen Abläufe eines urbanen Wasserkreislaufes werden so spielerisch und erlebnisorientiert vermittelt und die Arbeit der Wasserbetriebe besser kommuniziert. Ebenso kann die App für Schul- und Lehrzwecke eingesetzt werden. Aktuell ist diese Visualisierung nur für den Berliner Raum geplant und wird im Rahmen des EU-Projektes unterstützt. Denkbar ist, dass später ebenso für andere Städte umzusetzen.
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