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memodio – Eine App zur Unterstützung im Frühstadium der Demenz

Das digitale Medizinprodukt schließt eine Versorgungslücke

In Deutschland leiden rund 1,8 Millionen Menschen an Demenz, aber bis zu 6 Millionen bereits an Frühzeichen der Erkrankung – der Vorstufe, einer sogenannten leichten, kognitiven Störung. Demenz ist eine chronische Erkrankung, die sich langsam entwickelt. Obwohl es keine Heilung für Demenz gibt, gibt es Behandlungen, die die Symptome lindern und die Lebensqualität verbessern können. Aber: In diesem frühen Stadium gibt es keine zugelassenen Behandlungen. Erst mit einer diagnostizierten manifestierten Demenz greifen in unserem Gesundheitssystem die Behandlungen mit Medikamenten wie Antidementiva oder Physio- und Ergotherapie.

Das interdisziplinäre Gründer-Team von memodio, bestehend aus Ärzten und Softwareentwicklern, hat mit der memodio-App ein Medizinprodukt auf den Markt gebracht, das diese Versorgungslücke schließt. Sie unterstützt Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI) und Demenz im Frühstadium.

„Man weiß seit einigen Jahren, dass eine Kombination aus verschiedenen Behandlungselementen einen positiven Einfluss haben kann, die multimodale Intervention. Das bedeutet: ein Gehirntraining, kombiniert mit einem Seniorensportprogramm sowie individueller Ernährungsanpassung und Unterstützung der sozialen Teilhabe“, so Mediziner Dr. Doron Stein, der memodio zusammen mit seinem ärztlichen Kollegen Felix Bicu und Software-Entwickler Paul Zimmermann gegründet hat.

Keine Diagnos, sondern Therapieunterstützung

memodio bietet dabei keine Diagnostik an, sondern fokussiert sich auf den Behandlungsteil. „Die Nutzer:innen kommen zu uns, wenn sie bereits diagnostiziert worden sind – oder aus Eigeninitiative, um Beeinträchtigungen früh entgegenzuwirken“, so Stein. Die App von memodio bietet einen hohen Individualisierungsgrad, um den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Auf dem Trainingsplan stehen tägliche Übungen von 20 bis 30 Minuten. Die Übungen für das Gehirntraining passen sich adaptiv an den Fortschritt der Nutzer:innen an und steigern die Schwierigkeit entsprechend. Das integrierte Sportprogramm umfasst Trainingseinheiten, deren Schwierigkeitsstufen kontinuierlich steigern. Außerdem werden in wissenschaftlichen Fragebögen Ernährungsgewohnheiten erfasst und darauf basierend personalisierte Empfehlungen gegeben. Auch soziale Teilhabe und Risikofaktoren werden berücksichtigt.

Die Kombination dieser Elemente hat nachweislich einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf. Hier stützt sich memodio auf große, internationale Studien, die im nicht-digitalen Bereich die Wirkung der multimodalen Interventionen nachgewiesen haben. „Wir haben diese Interventionen digital übersetzt“, so der Stein. Aber dem Team sei auch bewusst, dass viele einer digitalen Gesundheitsvorsorge kritisch gegenüberstehen „In der Realität wäre es natürlich ideal, wenn man in so einem Frühstadium der Demenz bereits Physiotherapie, Ergotherapie, ein Sportprogramm und Ernährungsberatung an die Seite gestellt bekommen würde. Leider ist das utopisch, die Ressourcen fehlen. Die App kann das auffangen und einen echten Mehrwert bieten.“ Der größte Teil der über 70-Jährigen besitzt ein Smartphone, was die Nutzung der App erleichtert. „Wir können nicht alle mitnehmen, aber das können Arzneimittelhersteller auch nicht.“

Aktuell führt memodio eine eigene Wirksamkeitsstudie in Kooperation mit Studienzentren und Praxen bundesweit durch, deren Ergebnisse zum Jahresende vorliegen sollen. Mit einem spielerischen Belohnungssystem motiviert die App ihre Nutzer:innen, an den täglichen Übungen dranzubleiben. Aus einem digitalen Samen wächst mit den Tageseinheiten eine Art Gedächtnis-Baum heran und eine Reminder-Funktion mit Push-Notification erinnert zusätzlich.

Das Ziel: Eine flächendeckende Versorgung

Noch tut sich das Gesundheitssystem schwer, solche Angebote der breiten Masse zur Verfügung zu stellen. Hinzu kommt, dass die Zahlungsbereitschaft für digitale Gesundheitsleistungen in Deutschland eher gering ist. Aktuell sei es eine Herausforderung, mit den Krankenkassen über Verträge zu sprechen. Ihr Ziel sei es, das Angebot flächendeckend in die Versorgung zu bringen, so Stein. Ein weiterer Weg sei die App auf Rezept, deren Zulassung man beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte beantragen kann – auch wenn die Zusammenarbeit mit den Kassen priorisiert wird.

Dr. Doron Stein hat selbst zu Demenz geforscht und ein Weißbuch zur Versorgung der frühen Alzheimer-Krankheit herausgegeben. Er und sein Mitgründer, Mediziner Felix Bicu, sind außerdem familiär von Demenz betroffen und haben Lösungen gesucht, die Versorgungslücken in frühen Stadien zu schließen. Über das Hasso-Plattner-Institut (HPI) fanden sie nach einem Aufruf mit Softwareentwickler Paul Zimmermann zusammen. Zur Gründung bekamen sie mit dem EXIST-Gründungsstipendium die erste Anschub-Förderung, weitere Förderprogramme wie das der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) sowie Finanzierungen aus dem privaten Sektor folgten. Denn die Anforderungen an Medizinprodukte in der EU sind hoch und ohne solche Anschubförderungen ist der lange Weg bis zur Zulassung kaum zu stemmen.

Als Teil des MediaTech Hub Accelerators konnten sie darüber hinaus wertvolle Kontakte knüpfen. Bereits 1,5 Jahre nach Gründung gelang es memodio als Medizinprodukt am Markt zugelassen zu werden. Für Kund:innen von Krankenkassen, wie AOK Rheinland-Saarland oder der Mobilkrankenkasse werden die Kosten bereits übernommen. Auch AOK-Plus-Versicherte bekommen die App innerhalb des Bonusprogramms zur Verfügung gestellt.

Zukünftige Perspektiven und Forschung

Mittlerweile tue sich etwas im Arzneimittelbereich, auch in den frühen Phasen, so Doron Stein. In den USA gibt es erstmalig Arzneimittel, die mit Antikörpern gegen Prädemenz wirken sollen. Daraus ergebe sich zwangsläufig eine diagnostische Konsequenz. Einfach gesagt: Gibt es, etwas, was verschreibbar ist, lohnen sich im Vorfeld auch die aufwendigen diagnostischen Maßnahmen.

So ist absehbar, dass mehr Menschen mit Prädemenz diagnostiziert werden. Für das Kassensystem heißt das wiederrum eine höhere Kostenbelastung durch Diagnostik und Arzneimittel. Hier ist die memodio-App eine wirkungsvolle Alternative, die Versorgung abzudecken und der Krankheit vorbeugend entgegenzuwirken. Denn 40 Prozent aller Demenzen sind auf modifizierbare Risikofaktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel, Bluthochdruck, soziale Isolation oder Bildungsstatus zurückzuführen. Solche Zahlen gebe es vergleichbar nur im Herz-Kreislauf-Bereich. Wer so früh wie möglich etwas gegen kognitiven Abbau tut, dem kommt das zugute.

Fotocredit: © memodio